Wenn wir uns das Leben und Treiben auf dem Griesheimer Sand genauer anschauen werden wir besonders anhand alter Fotos erkennen das sich gerade die einfachen Soldaten sehr stark mit dem Militär identifizierten. Für uns heute ist vieles aus der Kaiserzeit nicht mehr verständlich. Um dieses zu verstehen müssen wir uns auf eine Zeitreise begeben um den einzelne Menschen und seine Zeit besser einordnen zu können. In den nachfolgenden Erläuterungen möchte ich besonders auf die Menschen im Südhessischen Raum eingehen deren Geschichte ich aus Zeitzeugenberichten sehr gut nachvollziehen kann. Wir müssen uns vor Augen halten das das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, von den Großstädten einmal abgesehen, weder eine Industrieregion noch eine bedeutende Handelsregion war. In den kleinen Gemeinden lebten die Menschen meist von der Landwirtschaft, kleinen Geschäften und dem Handwerk. In vielen Regionen, etwa im Odenwald und Regionen Oberhessens, herrschte in schlechten Jahren noch eine bittere Armut.
Die Begeisterung für das Militär, den Kaiser oder den Großherzog wurde den meisten schon in frühester Jugend in die Wiege gelegt. Aus vielen Erzählungen ist überliefert das außer den hohen kirchlichen Feiertagen z.B. der Geburtstag des Kaisers oder der Tag von Sedan zu den wichtigsten Tagen des Jahres zählten. Die Kinder bekamen Schulfrei, es gab den sog. “Kaiserweck”. Es wurden Umzüge der Kriegervereine veranstaltet die von einer Militärkapelle begleitet wurden. Im sonst eher eintönigen Leben des Dorfes hatten diese Veranstaltungen einen sehr hohen Stellenwert.
Eine Militärdienstpflicht bestand grundsätzlich für jeden zwischen dem 17. und dem 45. Lebensjahr. Erster Schritt war die Eintragung in die Rekrutierungsstammrolle der Stadt oder Gemeinde an die sich die Einberufung zur Musterung anschloss. Das Musterungskomitee des Kreises stellte die geistige und körperliche Eignung der jungen Männer fest und befand über Zurückstellungsanträge und sonstige Ansinnen. Bei einer Stärke von insges. 10 Regimentern in Friedenszeiten waren es fast immer zu viele Wehrpflichtige für die relativ kleine Armee so das die Behörden durch Losentscheid über die Einberufungen entscheiden ließen. Zu welchem Truppenteil ein Wehrpflichtiger einberufen wurde entschied dann eine übergeordnete Kommission nach praktischen Kriterien wie Körpergröße, übung im Umgang mit Pferden oder gar Muskelkraft. Die Mindestgröße der Infanterie betrug 1,55m bei den Garde-Regimentern aber 1,70m. Im Schnitt wurden etwa nur 50% eines Jahrgangs eingezogen der Rest wurde entweder ausgemustert oder aber der Ersatzreserve, der Landwehr oder dem Landsturm zugeteilt. Die reguläre Dienstzeit betrug bei der Infanterie und dem Train 2 Jahre, bei den Dragonern und der Artillerie 3 Jahre. Ausnahmen über gestückelte oder verkürzte Dienstzeiten waren in vielen Varianten möglich, so gab es beim Train Pferdepfleger und Fuhrleute die aufgrund ihrer Vorbildung z.B. als Landwirt nur 6-8 Monate aktiven Dienst leisteten. Durch das stark landwirtschaftlich geprägte Umfeld waren die Einheiten zur Erntezeit ziemlich ausgedünnt da alle jungen Bauern auf den Feldern gebraucht wurden und dafür freigestellt wurden. Grundsätzlich konnte sich aber auch jeder für einen längeren Wehrdienst verpflichten, dies war an verschiedene Bedingungen geknüpft, hatte aber den Vorteil das derjenige sich sein Regiment selbst aussuchen konnte dessen Kommandeur auch über seine Einstellung entscheiden musste. Bis zu vier Jahre waren allgemein üblich und die Chance war groß nach einer gewissen Zeit zum Unteroffizier befördert zu werden.
Eine weitere Möglichkeit sich zu Verpflichten aber kürzer zu dienen war die Meldung als Ein- bzw. Zweijährig Freiwilliger. Der Vorteil war die kurze Dienstzeit und die Möglichkeit der Regimentswahl. Der große Nachteil waren aber die enormen Kosten da diese Freiwilligen für Ausrüstung, Unterkunft und Verpflegung selbst aufkommen mußten. Mann konnte sich die Uniform und Ausrüstung entweder selbst kaufen oder aber vom Regiment ausleihen. Selbst die Nutzung eines Dienstpferdes und dessen Futter wurden den Zweijährig-Freiwilligen Dragonern in Rechnung gestellt. Die Kosten für diesen Dragoner konnten sich auf bis zu 1000,-RM belaufen, für die meisten eine utopische Summe die nur von wenigen begüterten Familien aufgebracht werden konnten. Freiwillige genossen bei ihren Kameraden immer ein gewisses Ansehen und wurde zuvorkommend behandelt, hatten sie doch schon nach einigen Monaten die Möglichkeit zu Überzähligen Unteroffizieren befördert zu werden oder bei entsprechender Eignung sogar bis zum Offiziersanwärter aufzusteigen. Nach den vorgesehenen mehrwöchigen Reserveübungen wurden sie zu Unteroffizieren oder sogar zu Offizieren der Reserve und somit zu künftigen Vorgesetzten.
Das Rückrat einer jeden Armee sind die Unteroffiziere, diese Rekrutierten sich meist aus den freiwillig Längerdienenden oder, nach Ansicht der Vorgesetzten, besonders befähigten Soldaten die sich weiter verpflichten konnten. Den Großteil der Reseve-Unteroffiziere stellten die ehemaligen freiwillig Längerdienenden.
Dies soll nur eine kurze Einleitung über das Militär der Kaiserzeit sein, näher will ich hier nicht auf Details eingehen. Wer sich weitergehend informieren will findet eine große Anzahl an Literatur oder wird im Netz fündig.
Die Soldaten
Begeben wir uns nun auf eine fiktive Reise durch die Militärdienstzeit eines jungen Mannes aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt
Die Musterung
Mit der Musterung wurden die jungen Männer in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. Dies wurde gebührend gefeiert, mit geschmückten Wagen und Musik ging es durch die Ortschaft und in den Kneipen wurde mächtig gefeiert. Farbige Bänder, Blumen und Abzeichen machten die zukünftigen Soldaten für jederman erkennbar. Viele dieser Traditionellen Rituale und Lieder haben sich bis heute bei den ”Kerweborsch” in leicht abgeänderter Form erhalten. Auch ist eine große Ähnlichkeit aus der Tradition der Burschenschaften erkennbar, das schräg getragene Band, der immer wieder auftauchende §11 (es wird weiter gesoffen) und viele Trinkrituale entstammen aus den studentischen Überlieferungen. Mit Stolz trugen die zukünftigen Rekruten Metallabzeichen mit den Truppengattungen für die sie eingeteilt worden waren. Infanteristen und Artilleristen dienten zwei, berittene Einheiten wie die Dragoner, drei Jahre. Es bedeutete für das Ansehen des Rekruten einen großen Unterschied in ein Garderegiment einberufen zu werden oder “nur” in eine untergeordnete Einheit. Es ist überliefert das es zwischen zwei Bauernfamilien zu einem Riesenstreit kam weil der Sohn des einen Bauern zu Leibgarde-Infanterie-Regiment 115 nach Darmstadt einberufen wurde der Sohn des anderen aber zum Train 18.
Trotz alledem erwarteten die meisten den Eintritt in die Armee mit großer Freude, versprach die Zeit doch ein ausbrechen aus dem Elternhaus und der ländlichen Enge. Die meisten waren bis zu ihrer Militärzeit kaum über die Orts- oder Kreisgrenzen hinausgekommen. Auch müssen wir uns vorstellen das für uns selbstverständliche Dinge wie ein eigenes Bett, gute Schuhe und Kleidung oder geregelte Mahlzeiten damals nicht selbstverständlich waren. Auch war der Sold war ein ,zwar kleiner, aber überaus lukrativer Anreiz. Bargeld war bei der Landbevölkerung damals sehr knapp, meist wurde bei den Bauern das erwirtschaftete selbst verbraucht oder eingetauscht für Dinge die gerade gebraucht wurden. Der Sold eines Gemeinen betrug ca. 15,-Mark im Monat, da war es schon interessant als Gefreiter 3,-Mark mehr zu verdienen. Diese 10 Pfennig mehr am Tag brachten den Gefreiten den Namen “Schnäpser” ein, da damals ein Schnaps 10 Pfenning kostete. Im Vergleich dazu bekamen Unteroffiziere ca. 40,-Mark monatlich, finanziell richtig lukrativ war der Militärdienst erst für längergediente Hauptmänner oder Majore die zwischen 500,- und 600,-Mark erhielten. Der Rang des Regimentskommandeurs wurde mit ca. 750,-Mark vergütet. Im Vergleich dazu betrug der Monatsverdienst eines Facharbeiters in der Industrie damals zwischen 80,- und 120,-Mark monatlich auf dem Land bekamen Handwerker meist nur um die 40,- bis 60,- Mark, Tagelöhner in der Landwirtschaft zwischen 1,- und 2,-Mark am Tag je nach Jahreszeit.
Der Crumstädter Jahrgang 1894 am Tag ihrer ersten Musterung. Dieser Jahrgang mußte fast geschlossen nach regulären Wehrdienst 1914 an die Fronten des ersten Weltkriegs.
Solche Postkarten mit der Aufschrift ”Gruß von der Musterung” gab es in vielen Varianten, sehr beliebt war die obennstehende auf der das passende Regiment angekreuzt werden konnte. |
Gerne zeigte man nach der Musterung allen wie es nun weitergeht oder ob alles erst einmal beim alten bleibt. Von der Garde bis zur Ausmusterung waren alle nur erdenklichen Anstecker mit einer großen vielfalt erhältlich. Hier eine kleine Auswahl meiner Sammlung aus Blech und aus Blei gegossen.
Hessische Erinnerungsmedaille an den Tag der Rekrutierung mit dem Konterfei des Großherzogs |
Rekrutenzeit
Die Zeiten als Rekrut in der Grundausbildung waren geprägt von Exerzieren, Marschieren, Waffen- und Bekleidungsreinigen. Große Unterschiede hierbei gab es bei den einzelnen Regimentern, Königreichen oder Fürstentümern in Deutschland. Während bei den Preußischen Einheiten eher ein strenger Drill vorherrschte so ging es in den süddeutschen Ländern teilweise etwas gemütlicher zu. Das marschieren in den kleinen Garnisonstädten fand meist vor Publikum in den Straßen statt, immer begleitet von vielen Kindern die stets einen großen Spass an diesem Schauspiel hatten. Je nach Waffengattung standen die Ausbildung am Gewehr oder Geschütz im Vordergrund. Aber auch die Pferdepflege waren bei den Dragonern oder der Artillerie Hauptbestandteile der Grundausbildung.
Wehrdienst
Reserve
Landwehr / Landsturm
Kriegervereine / Kameradschaftsverbände
Der Übergang des Rekruten zum aktiven Soldaten vollzog sich nahezu nahtlos da sich die Grundausbildung und die weitere Wehrdienstzeit in der gleichen Einheit vollzog. Eine Versetzung wie z.B. in der Bundeswehr war eher selten und unüblich. Meist übernahmen die Soldaten nach einigen Monaten spezielle Aufgaben oder die Ausbildung der neuen Rekruten, wer sich gut führte und ein gewisses Maß an Interesse zeigte konnte sich auch nach recht kurzer Zeit über eine Beförderung und somit über ein wenig mehr Sold freuen.
Einen noch größeren Stellenwert als die Musterung hatte alles was mit dem Eintritt in die Reserve zu tun hatte. Die offizielle Reservistenzeit betrug zwei Jahre im Anschluß an den regulären Wehrdienst. In dieser Zeit war meist jährlich an mindesten zwei Mannövern die Teilnahme Pflicht. Aber noch wichtiger war: Dieser Tag dokumentierte den Eintritt der jungen Männer in den Kreis der Honoratioren der Gemeinde und die Zugehörigkeit zum Kreis derjenigen die ihre Militärzeit hinter sich gebracht hatten und nun als vollwertige Mitglieder an den Stammtischen, den Vereinen und nicht zuletzt in den Traditionsverbänden der verschiedenen Regimenter gehörten. In den Wohnstuben vieler Häuser waren die Reservistika und Andenken an die Dienstzeit der einzige Schmuck den sich viele leisten konnten und der für den Rest des Lebens immer einen Ehrenplatz innehatte. Das wohl beliebteste Andenken war der Reservistenkrug gefolgt von Bildern, Reservistenpfeifen und Flaschen. Offiziere und die Einjährig Freiwilligen schmückten ihr Heim oft zusätzlich mit den markantesten Utensilien der Dienstzeit wie Säbel, Seitengewehr, Schulterklappen und nicht zuletzt mit der Pickelhaube die einen Ehrenplatz erhielten.
Typische Landwehrmänner mit dem großen Landwehrkreuz am Tschako in Griesheim bei einer Übung
Landsturm Heppenheim mit Koch
Reservistenbild des Train Regiments Nr. 18
Landwehr Sanitätskolonne Dillenburg
2. Kompanie, Landwehr Ersatzbattalion 94 in Gernsheim
Landwehr-Ersatz vor dem Zwingenberger Rathaus
Landwehr Offiziere in Zwingenberg
Landsturmmann mit der Wachstuchmütze
Kriegervereine und Kameradschaftsverbände einzelner Regimenter oder Waffengattungen waren von der Großstadt bis in das kleinste Dorf nicht aus dem öffentlichen Leben wegzudenken. Nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung 1871 wurden sie als Träger des Vaterländischen Gedankens überall gegründet. Der Dachverband in Hessen war die Kriegerkameradschaft “Hassia”. Nach Ende des 1. Weltkriegs gründeten sich viele Vereine und Verbände zur Erinnerung an die nicht mehr existenten Regimenter und Waffengattungen. Aber auch Stäbe oder übergeordnete Einheiten waren organisiert.
Ordensdekoration eines Mitglieds des Kriegervereins “Rhenania” Nierstein. Er trägt auf der großen Ordensschnalle: Hessische Tapferkeitsmedaille, Ehrenkreuz für Frontkämpfer, Hessisches Kriegsehrenzeichen, Medaille der Kameradschaft Hassia “Für Verdienste im Kriegervereinswesen” Kriegserinnerungsabzeichen des “Kyffhäuserbundes und Kreuz für 25 Jahre Mitgliedschaft im Kriegerverein.
Rechts: Mitgliedskreuz des Kameradenvereins Nierstein von 1886.
Kavallerie-Verein Giessen.
Hessische 25. Division
Kameradschaftsverband des 117. Infanterie Regiments
Traditionsverein ehemaliger 116er
Verein ehemaliger 61er Artilleristen
Verein ehem. 115er, Friedberg
Infanterie Regiment 115
168er Infanteristen in Offenbach bei einer Übung auf dem “Bieberer Berg” |
Nach der Zeit als Reservist war die Dienstpflicht noch nicht beendet. Es gab zwei Varianten der Landwehr: das 1. Aufgebot mit einer Dienstzeit von fünf Jahren und jährlich zwei Übungen von ein- und dreiwöchiger Dauer und das 2. Aufgebot mit dreijähriger Dienstzeit und einer Übung jährlich zusammen mit dem 1. Aufgebot. Mit dem 39 Lebensjahr endete die Landwehrpflicht und es schloß sich bis 45 der Dienst im Landsturm an. Der Landsturm hatte keinerlei Übungen mehr abzuleisten und sollte nur als letztes Aufgebot im Kriegsfall aufgerufen werden. Die Offiziere beider Formationen rekrutierten sich hauptsächlich aus ehemaligen Ein- und Zweijährig Freiwilligen die nach dem Wehrdienst und Beförderung in den Reserve-Offizerskorps aufgenommen wurde.
Archiv Peter Merschroth
Archiv Peter Merschroth
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Schöne Karte aus Biebesheim. Voller Stolz vermeldet ein soeben gemusterter junger Mann seinem Freund, der bei einem Garde-Regiment in Berlin dient, seine Einberufung zu den 115er nach Darmstadt.
Archiv Peter Merschroth
Sammlung Peter Merschroth